März 2016
Beitrag Zürcher Bote: 40 Jahre EMRK
In einem Votum zum Bericht des Bundesrates «40 Jahre EMRK» forderte Nationalrat Hans-Ueli Vogt eine offene Diskussion darüber, was es für unsere Rechtsordnung und unser Staatswesen bedeutet, dass ein internationales Menschenrechtsgericht als oberster Souverän der Schweiz waltet.
Votum im Nationalrat: 40 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz
Votum im Nationalrat:
Die SVP-Fraktion hat vom Bericht „40 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz: Erfahrungen und Perspektiven“ Kenntnis genommen, und sie dankt dem Bundesrat für den Bericht. Ein paar kritische Bemerkungen seien dennoch erlaubt. Die „Sakralisierung der Menschenrechte“, wie sie Herr Professor Kley am Samstag in der „NZZ“ angeprangert hat, darf nicht dazu führen, dass über die Rechtfertigung und die Grenzen eines gerichtlichen Menschenrechtsschutzes nicht aufgeklärt und kritisch diskutiert wird. Das würde nämlich die Meinungsfreiheit als Menschenrecht verletzen. Wer sagt, die Menschenrechte seien nicht verhandelbar und damit alles, was irgendwie diesem Begriff zugeordnet werden kann, unantastbar machen oder eben heiligsprechen will, begeht eine Menschenrechtsverletzung.
Ein Bericht über die Auswirkungen des Beitritts der Schweiz zur EMRK sollte tiefer schürfen, als der Bericht des Bundesrates es getan hat. Er sollte namentlich folgenden Fragen nachgehen: Was bedeutet es für unsere Rechtsordnung und unser Staatswesen, dass alle gesellschaftlichen Anliegen und Probleme zu Fragen des Grundrechtsschutzes gemacht werden können? Und was bedeutet es für unsere Rechtsordnung und unser Staatswesen, dass über diese Anliegen in letzter Instanz stets ein Gericht entscheidet?
Ich will auf diese zwei Punkte etwas näher eingehen: Die EMRK und der gerichtliche Rechtsdurchsetzungsmechanismus wurden im Nachgang zum Zweiten Weltkrieg geschaffen, um, wie es in der Präambel zur EMRK heisst, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu schaffen. Die Grundidee, den Schutz grundlegender individueller Rechte in letzter Instanz den Nationalstaaten zu entziehen, damit diese Rechte auch dann gewährleistet sind, wenn alle Gewalt im Staat entgleist ist, verdient Unterstützung – Internationalisierung der Menschenrechte, des Menschenrechtsschutzes als Rettungsring. Nur hat vieles von dem, was der Gerichtshof heute tut, mit dieser Grundidee beim besten Willen nichts mehr zu tun: der Umgang mit Fluglärm, die Lösung von Abfallproblemen, die Regelung der Suizidhilfe, die Verjährung von Schadenersatzklagen, In-vitro-Fertilisation usw. – was haben diese Fragen mit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs und mit der Grundidee einer externalisierten internationalen Gerichtsbarkeit noch zu tun?
Die Antwort ist: Nichts. Die als Rettungsring gedachte Praxis ist mittlerweile zum Kurs des Schiffes geworden.
Auch der zweite Punkte, mit dem sich der Bericht über die Bedeutung der EMRK für die Schweiz meines Erachtens etwas spezifischer und genauer hätte befassen sollen, hat nicht spezifisch mit der EMRK und dem Europäischen Gerichtshof zu tun, sondern, wie die erste Frage auch, mit Verfassungsgerichtsbarkeit, denn materiell, funktional übt dieser Gerichtshof eine Verfassungsgerichtsbarkeit aus – wohlverstanden eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die über der nationalen Verfassung steht. Das gilt nicht einmal für die grossen Verfassungsgerichte dieser Welt wie jenes in Deutschland oder in den USA.
Verfassungsrechtsprechung ist im Kern – und das ist die Kritik – eben politisch. Das rechtliche Verfahren, in dem über Interessenabwägungen, über den Ausgleich von Interessen entschieden wird, vernebelt im Kern, dass es hier um politische Fragen geht. Ob Asbestopfer auch noch Jahrzehnte später sollen klagen können, ist eine politische Frage. Ob jemand eine Wartefrist einhalten muss, bevor die Krankenkasse die Kosten einer Geschlechtsumwandlung übernimmt, ist eine politische Frage. Ob jemand Militärpflichtersatz bezahlen muss, obwohl er zuckerkrank ist, ist eine politische Frage. Und für politische Fragen wollen wir, dass sie in einem politischen – und das heisst in unserem Staat demokratischen – Entscheidprozess entschieden wird. Warum?
1. Der demokratische Entscheidprozess sorgt für Partizipation und Akzeptanz. Wir können alle möglichen Stakeholders, alle Gruppierungen, alle Interessen in Volksabstimmungen, Vernehmlassungen usw. einbeziehen. Ein Rechtsverfahren, ein gerichtliches Verfahren bietet diesen Vorteil niemals.
2. Politische Fragen sollen deshalb in einem politischen Verfahren entschieden werden, weil in einem politischen Verfahren eben auch die weitreichenden Konsequenzen, inklusive finanzielle Konsequenzen, vor Entscheiden mit einbezogen werden können. Es ist für ein Gericht einfach zu sagen, jemand müsse keinen Militärpflichtersatz mehr bezahlen. Die politische Frage ist: Wer bezahlt dann das Militär im betreffenden Staat?
Dies sind nur zwei Gesichtspunkte, die meines Erachtens zu einer tiefer greifenden politischen Auseinandersetzung mit der Frage gehört hätten, was es für unsere Rechtsordnung und unseren Staat bedeutet, dass ein internationales Menschenrechtsgericht als oberster Souverän der Schweiz waltet.
Votum im Nationalrat: Revision der Quellenbesteuerung des Erwerbseinkommens
Frau Leutenegger Oberholzer hat vorhin eine Parallele zu Artikel 52 AHVG gezogen und gesagt, gleich wie dort sei auch hier eine subsidiäre Organhaftung vorgesehen. Aber, Frau Leutenegger Oberholzer, Artikel 52 AHVG setzt auch eine Pflichtverletzung der Organe voraus. Herr Bundesrat Maurer sagte vorhin, die subsidiäre Organhaftung entspreche allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Er führte dazu zusätzlich Artikel 55 ZGB und Artikel 754 OR an; alle diese Bestimmungen setzen eine Pflichtverletzung der Organe voraus. Nur dann haften sie subsidiär für die Pflichten der juristischen Person.
Sind Sie, Frau Bertschy, mit mir der Auffassung, dass diese rechtlichen Ausführungen von Frau Leutenegger Oberholzer und Herrn Bundesrat Maurer nicht zutreffen und es darum richtig ist, keine subsidiäre Haftung einzuführen?
Interpellation: Handlungsfähigkeit von Parlament und Bundesrat sichern. Artikel 121a BV umsetzen. Schubert-Praxis erhalten
Der Bundesrat wird um Antwort auf folgende Fragen gebeten:
1. Was ist nach seiner Auffassung zu tun, damit – wie vom Bundesrat gewünscht und in Aussicht gestellt – Artikel 121a BV nötigenfalls durch eine einseitige Schutzklausel umgesetzt werden kann, auch wenn das Personenfreizügigkeitsabkommen nicht gekündigt ist?
2. Wie beurteilt er die Einschränkung der politischen Handlungsfähigkeit des Parlaments und des Bundesrates, die sich daraus ergibt, dass das Bundesgericht die Schubert-Praxis im Verlauf der Jahre immer mehr eingeschränkt hat?
3. Was ist nach seiner Auffassung zu tun, damit die Schubert-Praxis im Verhältnis zum Personenfreizügigkeitsabkommen wieder gilt?
4. Was ist nach seiner Auffassung zu tun, damit Bundesrat und Parlament von einem Staatsvertrag abweichen können, ohne ihn zuerst zu kündigen, wenn sie ein solches Abweichen (ausnahmsweise) für angezeigt erachten?
5. Wenn ein Bundesgesetz den Vorrang gegenüber dem Personenfreizügigkeitsabkommen ausdrücklich vorsieht (sodass die betreffende Gesetzesbestimmung aufgrund von Artikel 190 BV massgebend ist), geht dann im Konfliktfall das Gesetz oder der Staatsvertrag vor?
6. Was ist nach seiner Auffassung zu tun, um die Schubert-Praxis zu erhalten und eine Erosion durch immer mehr Ausnahmen zu verhindern?
7. Ist er ebenfalls der Meinung, dass im Verhältnis zwischen Gesetzes- und Völkerrecht der Vorrang der „lex posterior“ (wie er der Schubert-Praxis zugrunde liegt) eine sachgerechte Konfliktregel ist?
8. Wenn das Parlament die Schubert-Praxis beibehalten, den Vorrang des Personenfreizügigkeitsabkommens gegenüber einem Bundesgesetz aber aufheben möchte, durch welche rechtlichen Grundlagen und Vorschriften (nötigenfalls in der Verfassung) wäre die Schubert-Praxis festzuhalten?
Begründung
Im Urteil 2C_716/2014 vom 26. November 2015 hat das Bundesgericht bekräftigt, dass die Schubert-Praxis im Verhältnis zum Personenfreizügigkeitsabkommen nicht gelte. Es hat daraus abgeleitet, dass eine innerstaatliche Rechtsänderung, die zu einer Abweichung gegenüber dem Freizügigkeitsabkommen führen würde, im Fall eines Normenkonflikts hinter das Abkommen zurückzutreten hätte; das Abkommen würde vorgehen.