Votum

Votum im Nationalrat: 40 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz

Votum im Nationalrat:

Die SVP-Fraktion hat vom Bericht „40 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz: Erfahrungen und Perspektiven“ Kenntnis genommen, und sie dankt dem Bundesrat für den Bericht. Ein paar kritische Bemerkungen seien dennoch erlaubt. Die „Sakralisierung der Menschenrechte“, wie sie Herr Professor Kley am Samstag in der „NZZ“ angeprangert hat, darf nicht dazu führen, dass über die Rechtfertigung und die Grenzen eines gerichtlichen Menschenrechtsschutzes nicht aufgeklärt und kritisch diskutiert wird. Das würde nämlich die Meinungsfreiheit als Menschenrecht verletzen. Wer sagt, die Menschenrechte seien nicht verhandelbar und damit alles, was irgendwie diesem Begriff zugeordnet werden kann, unantastbar machen oder eben heiligsprechen will, begeht eine Menschenrechtsverletzung.
Ein Bericht über die Auswirkungen des Beitritts der Schweiz zur EMRK sollte tiefer schürfen, als der Bericht des Bundesrates es getan hat. Er sollte namentlich folgenden Fragen nachgehen: Was bedeutet es für unsere Rechtsordnung und unser Staatswesen, dass alle gesellschaftlichen Anliegen und Probleme zu Fragen des Grundrechtsschutzes gemacht werden können? Und was bedeutet es für unsere Rechtsordnung und unser Staatswesen, dass über diese Anliegen in letzter Instanz stets ein Gericht entscheidet?
Ich will auf diese zwei Punkte etwas näher eingehen: Die EMRK und der gerichtliche Rechtsdurchsetzungsmechanismus wurden im Nachgang zum Zweiten Weltkrieg geschaffen, um, wie es in der Präambel zur EMRK heisst, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu schaffen. Die Grundidee, den Schutz grundlegender individueller Rechte in letzter Instanz den Nationalstaaten zu entziehen, damit diese Rechte auch dann gewährleistet sind, wenn alle Gewalt im Staat entgleist ist, verdient Unterstützung – Internationalisierung der Menschenrechte, des Menschenrechtsschutzes als Rettungsring. Nur hat vieles von dem, was der Gerichtshof heute tut, mit dieser Grundidee beim besten Willen nichts mehr zu tun: der Umgang mit Fluglärm, die Lösung von Abfallproblemen, die Regelung der Suizidhilfe, die Verjährung von Schadenersatzklagen, In-vitro-Fertilisation usw. – was haben diese Fragen mit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs und mit der Grundidee einer externalisierten internationalen Gerichtsbarkeit noch zu tun?
Die Antwort ist: Nichts. Die als Rettungsring gedachte Praxis ist mittlerweile zum Kurs des Schiffes geworden.
Auch der zweite Punkte, mit dem sich der Bericht über die Bedeutung der EMRK für die Schweiz meines Erachtens etwas spezifischer und genauer hätte befassen sollen, hat nicht spezifisch mit der EMRK und dem Europäischen Gerichtshof zu tun, sondern, wie die erste Frage auch, mit Verfassungsgerichtsbarkeit, denn materiell, funktional übt dieser Gerichtshof eine Verfassungsgerichtsbarkeit aus – wohlverstanden eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die über der nationalen Verfassung steht. Das gilt nicht einmal für die grossen Verfassungsgerichte dieser Welt wie jenes in Deutschland oder in den USA.
Verfassungsrechtsprechung ist im Kern – und das ist die Kritik – eben politisch. Das rechtliche Verfahren, in dem über Interessenabwägungen, über den Ausgleich von Interessen entschieden wird, vernebelt im Kern, dass es hier um politische Fragen geht. Ob Asbestopfer auch noch Jahrzehnte später sollen klagen können, ist eine politische Frage. Ob jemand eine Wartefrist einhalten muss, bevor die Krankenkasse die Kosten einer Geschlechtsumwandlung übernimmt, ist eine politische Frage. Ob jemand Militärpflichtersatz bezahlen muss, obwohl er zuckerkrank ist, ist eine politische Frage. Und für politische Fragen wollen wir, dass sie in einem politischen – und das heisst in unserem Staat demokratischen – Entscheidprozess entschieden wird. Warum?
1. Der demokratische Entscheidprozess sorgt für Partizipation und Akzeptanz. Wir können alle möglichen Stakeholders, alle Gruppierungen, alle Interessen in Volksabstimmungen, Vernehmlassungen usw. einbeziehen. Ein Rechtsverfahren, ein gerichtliches Verfahren bietet diesen Vorteil niemals.
2. Politische Fragen sollen deshalb in einem politischen Verfahren entschieden werden, weil in einem politischen Verfahren eben auch die weitreichenden Konsequenzen, inklusive finanzielle Konsequenzen, vor Entscheiden mit einbezogen werden können. Es ist für ein Gericht einfach zu sagen, jemand müsse keinen Militärpflichtersatz mehr bezahlen. Die politische Frage ist: Wer bezahlt dann das Militär im betreffenden Staat?
Dies sind nur zwei Gesichtspunkte, die meines Erachtens zu einer tiefer greifenden politischen Auseinandersetzung mit der Frage gehört hätten, was es für unsere Rechtsordnung und unseren Staat bedeutet, dass ein internationales Menschenrechtsgericht als oberster Souverän der Schweiz waltet.

Votum im Nationalrat: Revision der Quellenbesteuerung des Erwerbseinkommens

Frau Leutenegger Oberholzer hat vorhin eine Parallele zu Artikel 52 AHVG gezogen und gesagt, gleich wie dort sei auch hier eine subsidiäre Organhaftung vorgesehen. Aber, Frau Leutenegger Oberholzer, Artikel 52 AHVG setzt auch eine Pflichtverletzung der Organe voraus. Herr Bundesrat Maurer sagte vorhin, die subsidiäre Organhaftung entspreche allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Er führte dazu zusätzlich Artikel 55 ZGB und Artikel 754 OR an; alle diese Bestimmungen setzen eine Pflichtverletzung der Organe voraus. Nur dann haften sie subsidiär für die Pflichten der juristischen Person.
Sind Sie, Frau Bertschy, mit mir der Auffassung, dass diese rechtlichen Ausführungen von Frau Leutenegger Oberholzer und Herrn Bundesrat Maurer nicht zutreffen und es darum richtig ist, keine subsidiäre Haftung einzuführen?

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Votum im Nationalrat: AHV plus. Für eine starke AHV. Volksinitiative

Der Gewerkschaftsbund will die AHV-Renten auf dem Weg der Volksinitiative um 10 Prozent erhöhen. Ich bin ebenfalls für höhere AHV-Renten. Man fragt sich geradezu: Warum eigentlich nur eine Erhöhung um 10 Prozent? Und warum eigentlich nur die AHV-Renten? Was ist mit den Löhnen der Erwerbstätigen? Die Löhne sollten ebenfalls um mindestens 10 Prozent erhöht werden, und die Preise für die Konsumgüter und die Mietzinsen sollten um mindestens 10 Prozent sinken. Überhaupt: Preise und Zinsen sind doch etwas ziemlich Lästiges. Wie wäre es mit einer Verfassungsbestimmung, die sagt, dass alles gratis ist? Und wenn ausnahmsweise etwas nicht gratis sein sollte, dann zahlt es der Staat.
Nun, liebe Initianten, geschätzte Linke, willkommen in der Welt der Realität. Alles hat seinen Preis. „There is no such thing as a free lunch“, wie unsere angloamerikanischen Kollegen sagen. Mit der Initiative hätte die AHV jährlich Mehrausgaben von 4 bis 5 Milliarden Franken – und wir reden hier, wohlverstanden, auch wenn Sie es nicht hören wollen, von Mehrleistungen einer Einrichtung, die ein Sanierungsfall ist. Bereits beim jetzigen Leistungsniveau hat die AHV jährlich ein Umlagedefizit von 8,3 Milliarden Franken. Leistungserhöhungen können unter den gegebenen Umständen sicher nicht versprochen werden. Mit der Annahme dieser Initiative würde die AHV an die Wand gefahren. Diese Initiative ist nicht die Reform der AHV, sie ist der Ruin der AHV.
Was jetzt nottut, ist die vom Parlament bereits an die Hand genommene Reform der AHV, und zwar mit dem Ziel, die AHV langfristig, nachhaltig – ein Wort, das von der Linken doch wohl gern gehört wird – zu sanieren. Das hat der Ständerat in einer ersten Runde bereits versucht. Er ist allerdings leider ebenfalls der Versuchung erlegen; er glaubte, eine bittere Pille, nämlich die des höheren Rentenalters, kombinieren zu müssen mit einer Versüssung, nämlich mit einer Mehrleistung. Wenn ich das feststelle, wenn ich dem Ständerat und den Initianten zuhöre, dann scheint mir, dass der Ständerat und die Initianten das Kostenbewusstsein und die finanzielle Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger unterschätzen. Die Menschen in unserem Land, die in haushälterischen Angelegenheiten so verantwortungsbewusst sind, dass sie sich freiwillig nicht einmal eine zusätzliche Ferienwoche geben, werden ganz bestimmt einem solch verschwenderischen Projekt nicht zustimmen.
Geradezu weltfremd ist die Initiative aber deshalb, weil sie nicht sagt, wie die zusätzlichen Leistungen denn finanziert werden sollen. Diese Frage würde sich wohlverstanden selbst dann stellen, wenn die AHV gut dastehen würde. Die Initianten bauen namentlich auf Einnahmen gestützt auf die Erbschaftssteuer-Initiative auf. Diese Initiative ist – Gott sei Dank, kann man sagen! – nicht angenommen worden. Auch in dieser Frage hat das Volk finanzpolitische Weitsicht und Weisheit bewiesen. Wenn aber diese zusätzlichen Einnahmen nicht bestehen, dann fragt man sich tatsächlich, wie das alles finanziert werden soll. Höhere Bundesbeiträge bedeuten Sparmassnahmen. Ich nehme nicht an, dass die Initianten hier mithelfen würden zu sparen. Höhere AHV-Beiträge bedeuten eine Belastung der Wirtschaft – das scheint die Initianten nicht weiter zu kümmern.
Darum lautet die Position der SVP, wie Sie es schon gehört haben: Nein zur Volksinitiative „AHV plus“! Stattdessen ist die Altersvorsorge 2020 voranzutreiben, allerdings nicht mit dem Geist, welcher der Initiative und dem ständerätlichen Beschluss zugrunde liegt: Das ist nämlich ein Geist, der nur darauf aus ist, der Bevölkerung mehr Leistungen zu versprechen, unbekümmert um die Frage, woher denn all das Geld kommt, um diese Leistungen zu finanzieren.

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